Albert Ritter von Hermann wurde am 5. 8. 1864 in Weinhaus/NÖ Nr. 28, heute 1180 Wien, Lacknergasse 81, geboren. Sein Vater Aloys Hermann stammte aus Schlesien, hatte in Wien Jus studiert und war ab 1854 Referent der Abteilung für das Volksschulwesen im Unterrichtsministerium. Er war maßgeblich an der Entstehung des Reichsvolksschulgesetzes beteiligt. In Würdigung seiner Verdienste erhielt er mehrfach Auszeichnungen. 1888 wurde er Sektionschef und trat 1891 in den Ruhestand.
Albert und seine beiden jüngeren Schwestern Johanna (geboren 1868) und Antonia (geboren 1871) zeigten frühzeitig eine hohe musikalische Begabung, die im Elternhaus tatkräftig gefördert wurde. Hermann besuchte zunächst die k.k. Lehrer- und Normalschule zu St. Anna als Privatschüler und 1874 bis 1882 das Schottengymnasium, wo er mit Auszeichnung maturierte. Danach studierte er auf Wunsch der Eltern Jus an der Universität Wien, absolvierte dieses Studium in ganz kurzer Zeit und trat nach dem Absolutorium 1886 in den Staatsdienst ein (29. 10. 1886 Conceptspracticant bei den k.k. politischen Behörden des Erzherzogthumes Oesterreich unter der Enns; Zuweisung zur Dienstleistung bei der Bezirkshauptmannschaft Krems ab 1. 8. 1887; Ablegung des Diensteids am 13. 11. 1887 in Krems, Bezirkshauptmann Freiherr von Menßhengen; 4. 7. 1888 „praktische Prüfung für die politische Geschäftsführung“ mit sehr gutem Erfolg; 20. 9. 1888 Einberufung zur Dienstleistung bei der k.k. Statthalterei in Wien; 9. 12. 1890 Ernennung zum Statthalterei-Concipisten in Mähren; bereits am 6. 12. 1890 [!] in zeitweise Dienstesverwendung beim Ministerium für Cultus und Unterricht genommen [hat also de facto nie in Mähren gedient]; 21. 4. 1893 Ernennung zum Ministerialconcipisten im Ministerium für Cultus und Unterricht; 4. 12. 1895 Ernennung zum Ministerial-Vice-Sekretär).
Von entscheidender Bedeutung für Hermanns Hinwendung zur Musik war die Begegnung des Zwölfjährigen mit dem Komponisten Wilhelm Westmeyer (1832–1880), die im Elternhaus stattfand. Westmeyer erkannte das große Talent und empfahl den Besuch der Orgelschule des Cäcilienvereins. Deren Leiter Josef Böhm vermittelte Hermann die Grundzüge der Musiktheorie und ermunterte ihn auch zum Komponieren. Böhm war mit August Wilhelm Ambros befreundet und setzte dessen Anliegen, die Werke der alten Meister einem breiteren Publikum bekannt zu machen, durch exemplarische Aufführungen in die Tat um. Er erweckte auch in seinem Schüler die Liebe zur alten Musik. Eine Initiative des sechzehnjährigen Hermann rettete nach dem plötzlichen Tod von Ambros dessen wertvolle Sammlung von mehreren hundert Kompositionen alter Meister vor dem Verkauf ins Ausland. Hermann sichtete und studierte den Ambros’schen Nachlaß und übergab ihn schließlich 1891 der Österreichischen Nationalbibliothek.
Nach der Matura 1882 suchte Hermann neben dem Jusstudium seine musikalische Ausbildung zu vervollkommnen. Josef Böhm empfahl ihm, Kompositionsunterricht bei seinem eigenen Lehrer Franz Krenn zu nehmen. Praktische Erfahrung sammelte er im Akademischen Gesangverein. Nach und nach zog dessen Leiter Rudolf Weinwurm Hermann auch als Begleiter an der Orgel und am Klavier sowie als Assistenten bei der Probenarbeit heran, überließ ihm die Leitung kleinerer Aufführungen und führte Chorkompositionen von Hermann auf, die auch von anderen Chören, so etwa vom Wiener Männergesangsverein, ins Repertoire aufgenommen wurden. Als Interpret eigener Walzerkompositionen für das Klavier und als einfühlsamer Liedbegleiter erfreute sich Hermann großer Wertschätzung.
Böhm regte Hermann zu schriftstellerischer Tätigkeit an. Ein Aufsatz Zur Reform der Kirchenmusik von 1883 blieb unveröffentlicht. Mehrere andere kritische Aufsätze zu musikalischen Einzelthemen fanden positives Echo; das führte dazu, dass ihm die Tageszeitung Vaterland im Jahr 1886 das Musikreferat übertrug, das er bis zu seinem Tod 1895 führte.
Durch Böhm lernte Hermann 1882 Guido Adler kennen, der sich eben erst habilitiert hatte, und, wie zuvor Ambros, als wissenschaftlicher Berater für Böhms Aufführungsprojekte in Erscheinung trat. Adlers Persönlichkeit prägte die weitere Entwicklung des elf Jahre jüngeren Hermann. Zwischen dem jungen Professor und dem Studienanfänger entwickelte sich eine persönliche Freundschaft. Adler zog Hermann immer wieder zur Mitarbeit bei verschiedenen Projekten heran.
Gegen Ende des Jahres 1893 konstituierte sich die Gesellschaft zur Herausgabe der Denkmäler der Tonkunst in Österreich. Hermann war Gründungsmitglied und Schriftführer der Leitenden Kommission. In dieser Funktion erarbeitete er in Abstimmung mit den übrigen Mitgliedern (vor allem Carl August Artaria) die ersten Statuten. Adler hatte Hermann schon früh in die Vorarbeiten für die Denkmäler eingebunden. Um das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken und vor allem auch die Unterstützung des Kaiserhauses für dieses teure Unternehmen zu gewinnen, ging Adler zunächst an die Herausgabe der Musikalischen Werke der Kaiser Ferdinand III., Leopold I. und Joseph I. in zwei Bänden (1892–1893), den sogenannten Kaiserwerken. Neben der Prachtausgabe, von der nur 220 Exemplare gedruckt wurden, legte der Verlag Artaria eine wohlfeile Volksausgabe auf, deren Redaktion Hermann besorgte. Er führte zu 17 Nummern den Basso continuo aus und fügte zur Erleichterung der Probenarbeit eine Orgel- bzw. Klavierstimme hinzu. Außerdem verfaßte er einen sehr informativen Aufsatz über die Kaiserkompositionen, der in zwei angesehenen und weitverbreiteten Zeitungen, dem Wiener Vaterland und der im Cotta-Verlag in Stuttgart und München erscheinenden Allgemeinen Zeitung, veröffentlicht wurde.
Auch die Internationale Ausstellung für Musik und Theaterwesen 1892 in Wien sollte nach den Intentionen Adlers dem Projekt der Denkmäler förderlich sein. In seiner Hand lag die wissenschaftliche Vorbereitung der Musikhistorischen Abteilung von Deutschland und Österreich-Ungarn in der Ausstellung. Die Planung und Durchführung der Konzerte (insgesamt 66 Konzerte zwischen 8. 5. und 9. 10.) übertrug Adler den „Referenten des Musikcomités“, dem Hofmusikverleger Albert Gutmann und Hermann. Dieser hatte vor allem die Programme der zwölf historischen Konzerte zu erstellen und gemeinsam mit Gutmann die geeigneten Künstler auszuwählen. Chöre, die überhaupt in der Lage waren, diese Art Musik aufzuführen, waren rar. Für drei Konzerte gewann man die Chorakademie des Ambrosiusvereins unter Josef Böhm. Als zweiter Wiener Chor folgte die Wiener Singakademie unter Max von Weinzierl der Einladung und wirkte in zwei der historischen Konzerte mit. Hier eröffnete sich für Hermann ein neues Tätigkeitsfeld. Er wurde in den Ausschuss der Singakademie gewählt und hielt für die Chormitglieder Vorbereitungskurse für die eigentliche Probenarbeit ab. Diese Tätigkeit behielt er auch in den folgenden Jahren bei. 1893 führte die Singakademie in zwei Konzerten Kaiserkompositionen auf. Im selben Jahr und 1894 wirkte sie bei den Aufführungsserien des Weihnachtsspiels von Richard Kralik mit, dessen musikalischen Teile Hermann bearbeitet, arrangiert und teilweise selbst komponiert hatte. Diese Aufführungen dirigierte er selbst.
Seine Tätigkeit für die Denkmäler und zahlreiche Veröffentlichungen zu musikalischen Themen (z.B. 70. Geburtstag Anton Bruckners, Kaiserkompositionen, Das Wiener Conservatorium, Die vorclassischen Compositionen Goethischer Lieder und Balladen; zahlreiche fundierte Premierenberichte etc. in der Tageszeitung Das Vaterland und schließlich auch in der Neuen Freien Presse) dienten seinem erklärten Ziel, sich als Musikschriftsteller einen Namen zu machen und eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Als Dissertationsthema für sein Studium der Musikwissenschaft wählte er Antonio Salieri und beabsichtigte, sich mit einer späteren Erweiterung dieser Arbeit zu habilitieren.
Aber auch sein zweiter Lebenstraum von einer Dirigentenlaufbahn war noch nicht ausgeträumt. Nach den Aufführungen des Weihnachtsspiels, die ihm einhelliges Lob für seine Dirigentenleistung gebracht hatten, war er sich seiner Fähigkeiten gewiß. Adler, der sich den hochfliegenden Plänen Hermanns gegenüber zunächst reserviert zeigte, verhalf ihm zu einem Auftritt in Prag. Am 10. Mai 1894 dirigierte Hermann im Nationaltheater die Meistersinger, die er „Note für Note im Kopf“ hatte, und war damit erfolgreich. Anfang 1895 leitete er im Wiener Musikvereinssaal vier Orchesterkonzerte, die sein Freund Albert Gutmann für den geigenden Wunderknaben Bronislaw Hubermann in höchster Eile improvisiert hatte.
Im Mai 1895 legte Hermann seine Dissertation vor (Begutachter waren der Philosoph Robert Zimmermann und der Ästhetiker Alfred Freiherr von Berger), am 4. Juli 1895 legte er die Schlußprüfungen seines Studiums der Musikwissenschaft einstimmig mit Auszeichnung ab, am 4. 11. 1895 beschloß das Professorenkollegium der philosophischen Fakultät der Universität Wien seine Zulassung zur Promotion sub auspiciis Imperatoris. Es wäre die erste Sub-auspiciis-Promotion in diesem Studienfach gewesen. Am 8. 11. 1895 erreichte ihn die Mitteilung seiner Beförderung zum Ministerial-Vicesecretär im Unterrichtsminsterium.
Am 18. 11. 1895 fanden alle Zukunftsträume ein jähes Ende. Hermann verstarb nach kurzer Bettlägrigkeit an den Folgen einer übergangenen Grippe.
Kompositionen: Veröffentlichte Werke (bei Rebay & Robitschek, Wien): Jung Werner’s Minnegruß (aus J. V. Scheffels Trompeter von Säckingen) op. 3; Drei Männerchöre a capella op. 4 (Texte Heinrich Leuthold, Altdeutscher Minnespruch, Emil Engelmann); Zwei Männerchöre op. 5 (Volkslied, Franz Schamann); Drei Lieder für gemischten Chor op. 6 (Wilhelm Osterwald, Robert Reinick, nach dem Slovenischen des Simon Jenko deutsch von Eduard Samhaber); Der fahrende Musikant für Männerchor op. 7 (Ludwig Pfau) – Gelegenheitskompositionen: Zigeunerleben, Tableau mit Gesang und Tanz (1882); Frühlingslied (1883); Scherzo, Minnelied, Berceuse (1883 Hainfeld); Fest-Ouverture zur Solennen Semisaecular-Kneipe des Wiener Akademischen Gesangvereins (50.Geburtstag Prof. Rudolf Weinwurm, 1885); Festspiel, Text von Julius Horst 1886 (Festfeier Ambrosius-Verein) – Bearbeitung von Liedsätzen und Chorälen sowie Komposition von Instrumentalsätzen für das Weihnachtsspiel von Richard Kralik (1893/94 und 1894/95) – Handschriftlich erhaltene Lieder, Nachrichten über verlorene Werke.
Schriften: Die musikalischen Aufführungen der Internationalen Ausstellung für Musik und Theaterwesen in Wien 1892. Bericht, erstattet von den Referenten des Musik-Comités [gem. mit Albert Gutmann]. Wien 1892; Tondichter aus dem Hause Habsburg, in Beilage 192 zur Allgemeinen Zeitung Nr. 231, 21. 8. 1893, S. 1-5; Ein österreichisches Kaiserdenkmal, in: Das Vaterland 24. 4. 1892, S. 1 f.; Die musikalischen Werke der Kaiser Ferdinand III., Leopold I. und Josef I., in: Jahresbericht der Wiener Singakademie 35 / 1892/93 (1893) S. 33 f.; Zum siebzigsten Geburtstag Anton Bruckner’s, in: Musikalische Rundschau (Neue Wiener Musikzeitung – Blätter für Kirchenmusik) 9 (1894) S. 109 f.; Dr. Anton Bruckner. Zum siebzigsten Geburtstag des Meisters, in: Das Vaterland, Morgenblatt vom 2. 9. 1894, S. 1 f.; Antonio Salieri. Eine Studie zur Geschichte seines künstlerischen Wirkens. Hs. Diss. Universität Wien 1895, Druck Wien: Robitschek 1897 und in: Deutsche Kunst- & Musik-Zeitung 24 (1897) S. 17 f., 32, 42 f., 53 f., 69 f., 81 f., 107 f.; Das Wiener Conservatorium, in: Neue musikalische Presse … (vormals Internationale Musik-Zeitung) 4 (1895) Nr. 6 S. 2, Nr. 7 S. 2, Nr. 8 S. 2, Nr. 10 S. 2, Nr. 12 S. 2, Nr. 15 S. 3 f.; Eduard Hanslick, in: Neue Freie Presse 11. 9. 1895, S. 1 f.; Die vorclassischen Compositionen Goethischer Lieder und Balladen [mit einem einleitenden Nachruf auf A. v. Hermann], in: Chronik des Wiener Goethe-Vereins 10/1 v. 15. 12. 1895, S. 2-4; weitere Beiträge (Kritiken u.a.) zu den Zeitungen Das Vaterland und Neue Freie Presse.
Lit.: Biographie und Aufsatz in Vorbereitung.; † Albert v. Hermann (unter Kleine Chronik), in: Neue Freie Presse 18. 11. 1895, S. 1; Marie Herzfeld, Albert v. Hermann, ein Wiener Musiker, in: Wiener Mode 1895, 10/3, S. 113 f.; Nachruf in Chronik des Wiener Goethe-Vereins, siehe oben; Johanna Müller, Erinnerungen an Albert von Hermann. Wien 1896; Albert Gutmann, Aus dem Wiener Musikleben. Künstler-Erinnerungen 1873-1908 1. Wien 1914; Elisabeth Hilscher, Denkmalpflege und Musikwissenschaft. Einhundert Jahre Gesellschaft zur Herausgabe [von Denkmälern] der Tonkunst in Österreich (1893–1993). Tutzing 1995, lt. Register (insbes. S. 59 f.).
letzte Änderung: 27.12.2008 • Text: Erich Hermann • Webeinrichtung: Konrad Antonicek